Markranstädter Geschichten

Bahnmeisterei auf der Nebenbahn

Es ist kurz nach halb sechs als Georg sein Fahrrad die letzten Meter zum Gebäude der Bahnmeisterei schiebt. Er lehnt das Fahrrad gegen den Skl-Schuppen und öffnet die Tür zum Aufenthaltsraum. Kalter Zigarettenqualm weht ihm entgegen, der Ofen bullert schon und die Kaffeemaschine gibt röchelnde Geräusche von sich. Hinten klatschen ein paar Skatkarten auf einen Tisch, die Blumentöpfe sehen vertrocknet aus. Ein ganz normaler Morgen in der Bm.

„Moin Schorsch, mit Milch und zwo Stück Zucker, wie immer?“

„Ja, Gerd, wie immer.“

„Kommt gleich, dein Kaffee.“

Klaus, der jüngste Kollege, der erst seit 2 Jahren bei der Truppe von Georg dabei ist, liest an dem mit Wachstuch bezogenen Tisch eifrig in einem lila Heftchen.

„Was lieste denn da?“

Klaus sagt nichts, er hält Georg nur das Heft hin. DV 808 „Einsatzanweisung für Baumaschinen und -geräte, Teilheft 92 MZA 102“ liest der Chef der Truppe.

„Wo hastn das her?“

„Kam gestern Abend zusammen mit dem neuen Gerät.“

„Was denn für ein neues Gerät?“

„Steht draußen hinter dem Schuppen, niegelnagelneu, riecht noch nach frischer Farbe.“

Da sein Kaffee noch nicht fertig ist geht Georg noch mal vor die Tür und tatsächlich, hinter den Büschen steht das lange erwartete neue Mehrzweckgerät MZG 102 mit Ladekran und sogar mit Anhänger.

Sein Blick schweift hinüber zum abgenutzten Skl-24, der mehr Werkstatttage als Einsatztage in seinem Betriebsbuch vorweisen konnte. Die Motorabdeckung liegt auf dem Boden. Einzelteile und Werkzeug liegen auf einer Plane.

„Die Kopfdichtung hat es vorgestern erwischt, und eine Rollenkette ist auch im Eimer.“

Georg hat nicht gemerkt das Klaus zu ihm getreten ist. Der stille Klaus, wie er von den anderen genannt wird, kümmert sich seit geraumer Zeit mit viel Hingabe um den alten Skl. „Keine Ersatzteile mehr für den ollen Garantmotor aufzutreiben.“

„Na, nun kann er ja ins Museum, wir haben doch den neuen“ meint Georg.

„Gibt ja auch viel zu tun in den nächsten Tagen“ sagt er nach einiger Überlegung.

„Wir müssen Signaltafeln aufstellen am Umformerwerk und noch Holzschwellen rausfahren. Da wird uns das neue Gerät gute Dienste leisten.“

„Signaltafeln am Umformerwerk, wozu das denn?“ fragt Klaus.

„Sie richten da einen Personenverkehr zum Schichtwechsel ein, wir sollen eine Trapeztafel und eine H-Tafel aufstellen. Die arbeiten jetzt in 3 Schichten auf der Baustelle.“

„Kaffee ist durch“ ruft Gerd durchs Fenster.

Die beiden gehen wieder hinein. Die Skatspieler haben ihre Runde beendet und alle sitzen am Tisch und frühstücken.

„Was is nu mit die Holzschwellen, Meister?“ fragt Egon.

„Die müssen auch noch rausgebracht werden“ sinniert Georg.

„Da müssen wir ja jetzt nur noch einmal fahren statt dreimal wie mit dem alten Schöneweider“ wirft Klaus ein. „Wir haben doch jetzt einen Hänger und einen Kran dran.“

Recht hat er, denkt Georg und nimmt sich vor gleich nachher seinen Kollegen von der Baubetriebsplanung anzurufen. Zum Abladen zwischen Gabelow und Neu-Seehagen brauchen sie mit dem neuen MZG höchstens eine Stunde. Mal sehen wie der Kollege das in den Fahrplan eintakten kann.

Egon mosert noch ein wenig „Betonschwellen in Kiesbettung, war damals schon eine Schnapsidee, und dann noch auf dem weichen Damm. Und nun bröseln sie vor sich hin. Wer hat sich so was nur ausgedacht? Und wir haben jetzt die Arbeit damit.“

„Du und arbeiten“ meint Kalle spöttisch. Der ist gerade vom Klo gekommen, die Wochenpost noch unter dem Arm.

„Was ist eigentlich mit dem geplanten Umzug?“ fragt Eddi beim kauen. „Die alte Hütte hier bricht bald zusammen.“

„Tja, der Umzug der Bahnmeisterei ist noch nicht endgültig geklärt. Sie suchen noch nach einem geeigneten Standort.“

„Ich wüsste ja ein schönes Plätzchen, am Abzweig Gabelow da liegen doch schon die Gleise, oder?" fragt Gerd.

„Nee, da ist noch Baustelle. Die Brandenburger kommen da nicht so recht voran, da fehlen ja noch ein paar Gleise“ weiß Eddi.

„Die Weichenantriebe ham se och noch nicht eingebaut“ kräht Egon dazwischen.

„Möönsch Gabelow, wäre auch schön zentral gelegen“ meint Kalle, der wohnt nämlich gleich um die Ecke.

„Das entscheiden wir ja nicht, mal sehen was die in Halle bestimmen.“ Georg steht vom Tisch auf und dann stellt er seine Tasse ins angeschlagene Abwaschbecken. Er betritt sein Büro und setzt sich an seinen wackeligen Schreibtisch. Es wird wirklich Zeit das sie in ein neues Gebäude umziehen. Durchs Fenster sieht er seine Männer um das neue MZG herum stehen. Klaus führt stolz den Ladekran vor.

Es ist schon eine prima Truppe die er da hat. Mit Klaus, Eddi, Gerd, Kalle und Egon wird er das schon schaffen.

Er greift zum Telefonhörer.